aa) Eingriff in den Schutzbereich
Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2
Abs. 1 GG und zielt auf eine möglichst freie und unreglementierte berufliche
Betätigung.
Vgl. BVerfGE 103, 172 (183).
Art. 12 Abs. 1 GG umfasst dabei sowohl die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit
als auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dabei ist auch die negative Berufsfreiheit vom
Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst. Das bedeutet, es steht jedem
Grundrechtsträger frei, eine bestimmte
Arbeit nicht zu ergreifen. Es liegt in der
Entscheidungsgewalt des Einzelnen, für sich zu entscheiden, einer bestimmten
beruflichen Tätigkeit nicht nachzugehen. Das Bundesverfassungsgericht
bezeichnet dies als
„die notwendige Kehrseite der
positiven Freiheitverbürgung, bezogen auf das Ziel, einen Lebensbereich von
staatlichen Eingriffen und Manipulation freizuhalten“.
BVerfGE 58, 358 (364).
§ 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II normiert als Pflichtverletzung, wenn eine i. S. d.
SGB II zumutbare Arbeit,
Ausbildung, Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 d SGB II oder ein gemäß §
16 e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis nicht aufgenommen, nicht fortgeführt oder deren Anbahnung
verhindert wird. Diese Pflichtverletzung führt zur Sanktionierung des Leistungsempfängers.
Die Sanktionierung, die zur – ihrerseits selbstständig
verfassungswidrigen – Kürzung des menschenwürdigen Existenzminimums führt,
stellt für den Leistungsberechtigten einen erheblichen Einschnitt dar.
Die Drohwirkung,
die eine Sanktionierungsmöglichkeit nach §§ 31 ff. SGB II entfaltet,
ist geeignet, den freien und selbstbestimmten Entscheidungsprozess zu
beeinträchtigen. Es ist naheliegend und vom Gesetzgeber gerade beabsichtigt, dass der
Leistungsempfänger eine Beschneidung seiner Mittel vermeiden will. Das führt
dazu, dass er de facto genötigt wird, jede i. S. d. Gesetzes
zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 d SGB II oder
ein gemäß § 16 e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, unabhängig davon, ob dies seinem Willen oder seinem Verständnis von
guter bzw. akzeptabler Arbeit entspricht.
Die Sanktionsandrohung übt auf den Leistungsberechtigten
einen faktischen Zwang aus, der einer
imperativen Verpflichtung zur Aufnahme einer nicht gewollten Tätigkeit
gleichkommt. Besonders augenscheinlich wird dieser Zwang im Fall einer 100 %
Sanktion, wenn eine i. S. d. SGB II zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit
nicht genutzt wird.
Diese Folgen des § 31a i. V. m. § 31 Abs. 1 Nr. 2
SGB II greifen ganz erheblich in
die negative Berufsfreiheit
gemäß Art. 12 Abs. 1 GG ein.
Ähnlich Berlit, Handbuch Existenzsicherungsrecht, 2013,
Kapitel 23 (Sanktionen), Rn. 15 f.
Vorschlag 1) Hinzufügen, dass eine zumutbare Erwerbstätigkeit durch Verwaltungsakt angeordnet werden kann. Hierdurch wird der Zwangcharakter unterstrichen.
AntwortenLöschenSiehe: Geschäftsanweisungen der BA zum § 31 SGB II:
http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A01-Allgemein-Info/A015-Oeffentlichkeitsarbeit/Publikation/pdf/Gesetzestext-31-31b-SGB-II-Sanktionen.pdf:
Auszug:
2. Pflichtverletzungen nach § 31 Absatz 1
2.2 Ablehnung zumutbare Arbeit / Ausbildung / Arbeitsgelegenheit / geförderte Arbeit
(4) Die Weigerung zur Aufnahme oder Fortführung einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, einer geförderten Arbeit (...) ohne wichtigen Grund stellt eine Pflichtverletzung dar, unabhängig davon, ob das Angebot in einer EinV, einem die EinV ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 1 Satz 6 oder als Direktangebot unterbreitet wurde.
Vorschlag 2) Definition für "zumutbare" Arbeit einfügen: § 10 SGB II, Zumutbarkeit. Hierdurch wird deutlicher, dass nahezu alles angenommen werden muss.
Vorschlag für Formulierung:
AntwortenLöschen"Die Drohwirkung, die eine Sanktionierungsankündigung nach §§ 31 ff. SGB II entfaltet,(...)
Da das Wort Sanktionierungsmöglichkeit impliziert, dass es lediglich die Möglichkeit gibt zu sanktionieren (dies aber nicht unbedingt ausgeführt wird)
Gesetz hierzu: Ersatz der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt: § 15 Abs. 1 Satz 6, SGB II
AntwortenLöschenMan könnte zufügen, dass ein durch Verwaltungsakt angeordnete Erwerbsarbeit, Maßnahme etc. gegen Art. 1, Abs. 1 GG verstößt. Die Würde des Menschen ist verletzt, wenn der Staat den Einzelnen nicht als Individuum, sondern als bloßes Objekt ansieht (Objektformel). Die Unantastbarkeit der Würde bedeutet, dass der Staat und seine Organe, die unveräußerlichen Rechte des Einzelnen (u.a. auf Selbstbestimmung, Leben , Freiheit) respektieren muss. Der Einzelne hat auch ein Mitwirkungsrecht.