5. Eingeschränkte Kritik an den gegenwärtigen
Sanktionsregelungen
Ein großer Teil der Literatur
hält Sanktionen mit Einschränkungen
für zulässig, wobei die geltende Rechtslage häufig als verfassungsrechtlich problematisch
bezeichnet wird.
Insbesondere wird dabei mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz argumentiert.
So hält z. B. Lauterbach das Entfallen der Bedarfe nach § 22 SGB II für bedenklich:
Lauterbach,
Verfassungsrechtliche Probleme der Sanktionen im Grundsicherungsrecht, ZFSH/SGB
2011, S. 585.
Auch hält er die Verhängung einer Sanktion von 60 % bzw. 100
% ohne die Gewährung von Sachleistungen für in der Regel unverhältnismäßig, wenn eine angemessene
Lebensmittelversorgung anderweitig nicht gewährleistet ist:
vgl. Lauterbach, in: Gagel,
SGB II, 48. Ergänzungslieferung 2013, § 31, Rn. 2.
Zudem
kritisiert er die „Funktion einer `Strafnorm` mit generalpräventivem Charakter“
und sieht in den starren Rechtsfolgen der Sanktionsnormen einen Konflikt mit
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:
Lauterbach, Verfassungsrechtliche Probleme der Sanktionen
im Grundsicherungsrecht, ZFSH/SGB 2011, 584, 586.
Berlit, der Leistungskürzungen grundsätzlich für verfassungsrechtlich
zulässig hält, schränkt in gleichem Atemzug ein:
„Dies bedeutet
[...] nicht, dass das
geltende Sanktionssystem in all seinen Ausformungen verfassungsrechtlich unbedenklich ist. [...] Der Gesetzgeber darf auch bei grob pflichtwidrigem Handeln den
Leistungsberechtigten nicht in eine
Situation bringen, in der das physische Existenzminimum aktuell nicht gewährleistet ist und
der Leistungsberechtigte auch sonst keine Chance hat, sich die hierfür
erforderlichen Mittel legal kurzfristig anderweitig zu beschaffen.“ [Hervorh.
d. Verf.]
Berlit, Minderung der verfügbaren Mittel – Sanktionen und
Aufrechnung im SGB II, ZFSH/SGB 2012, 562 ff. (567),
Schnath vertritt die
Auffassung, dass zumindest „das zum Überleben Notwendige sicher zu
stellen ist“ und ein Sanktionsregime, welches das Überlebensnotwendige –
auch zeitweise – nicht sichert, verfassungswidrig sei:
Schnath, Das neue Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, NZS 2010, S. 301.
Herold-Tews
hält es für problematisch, dass § 31a SGB II keine Härteregelungen vorsieht:
Herold-Tews, in:
Löns/Herold-Tews, SGB II, Grundsicherung für Arbeitssuchende, 3. Auflage, 2011,
§ 31 a, Rn. 27.
Hirschboeck
formuliert hinsichtlich einer vollständigen
Leistungsstreichung verfassungsrechtliche
Bedenken:
Hirschboeck,
Sozialhilfemissbrauch in Deutschland aus juristischer Sicht, 2004,
S. 114 f.
Sonnhoff hält einen
Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
für möglich, wenn eine Sanktion von 100
% über drei Monate verhängt werden könnte. Dabei sei besonders
problematisch, dass auch die Kosten für Unterkunft entfallen.
Sonnhoff, in: Radüge,
jurisPK-SGB II, 3. Auflage, 2012, § 31 a, Rn. 25.
Berlit führt aus, dass Zeitdauer und Umfang der Minderung zu unflexibel seien:
Berlit, in: Münder, LPK-SGB II, § 31 a, Rn. 5.
Ähnlich wird
argumentiert, dass die sachbearbeitende Person derzeit keine Möglichkeit habe,
auf besondere Härten im Einzelfall einzugehen.
Vgl. hierzu: Loose, Sanktionierung von Pflicht und
Obliegenheitsverletzungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
ZFSH/SGB 2010, S. 345.
Auch nach Lauterbach
widerspricht „die Starrheit des Sanktionsmechanismus“
dem Ziel der Aktivierung und gebe den Regelungen „Strafcharakter“:
Lauterbach, in: Gagel, SGB II, 48. Ergänzungslieferung 2013, § 31, Rn.
1.
Köpp/Richers halten das Antragserfordernis
und das Ermessen der Verwaltung
bei der Sachleistungsvergabe für
verfassungsrechtlich problematisch
und befürworten zudem eine Sachleistungsgewährung, die den Betroffenen zum
einen die Möglichkeit von Alternativen gewährt und zum anderen keine
diskriminierende Wirkung entfaltet.
Köpp/Richers, Wer nicht arbeitet, soll dennoch essen, DÖV 2010, S.
1000.
Hier fehlt noch die Gegenargumentation.
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