Sonntag, 21. Juli 2013

Antrag: bb) Keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung


bb) Keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung [diesen Punkt bei Ü-25-Jährigen streichen!]

Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.

Sie kann nur durch einen „hinreichend gewichtigen Grund“ gerechtfertigt sein:

vgl. BVerfGE 100, 138 (174), Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 14.

Bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen gelten besonders strenge Maßstäbe:

„Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung.“

BVerfGE 95, 267 (316).

Nach der Willkürformel liegt eine Ungleichbehandlung vor, „wenn sich für eine gesetzliche Regelung kein sachlicher Grund finden lässt und sie deshalb als willkürlich zu bezeichnen ist“.

Jarass, Art. 3, Rn. 26.

Dies ist der Fall, wenn eine gesetzliche Regelung evident unsachlich gleich oder ungleich behandelt:

vgl. Osterloh, Sachs, Art. 3, Rn. 9.

Die Altersgrenze von 25 Jahren ist willkürlich. Ohne sachliche Begründung wird eine Grenze ausgerechnet bei 25 Jahren gezogen. Unterhalb dieses Alters werden die in § 31 SGB II aufgeführten Pflichtverletzungen härter bestraft. Dabei stimmen die „Pflichten“ der Unter-25-Jährigen mit denen der Über-25-Jährigen überein. Das gleiche Verhalten führt damit zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob es vor oder nach dem 25. Geburtstag erfolgt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die unterschiedliche Behandlung von Personengruppen beim Bezug von Arbeitslosengeld I (Leistungskürzung wegen Meldeversäumnissen) bereits 1987 mit Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz für unzulässig erklärt:

„Beide Personenkreise [Leistungsbezieher mit und ohne „wichtigen Grund“, d. Verf.] unterscheiden sich nicht so erheblich voneinander, daß die beanstandete Regelung vertretbar wäre. Der allgemeine Gleichheitssatz wird verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 71, 146 (154) = NJW 1986, 709).“

BVerfG, 10.02.1987 - 1 BvL 15/83, NJW 1987, 1929 f. (1930).

Dies muss erst recht bei denjenigen Bedürftigen gelten, denen nicht nur ein ähnliches, sondern das gleiche Versäumnis zur Last gelegt wird.

Es sind zwischen den Gruppen der Über- und Unter-25-Jährigen keine Unterschiede ersichtlich, die nach Art und Gewicht eine solche Differenzierung rechtfertigen könnten. Es kann kaum angenommen werden, dass junge Erwachsene ausgerechnet exakt bis zum 25. Geburtstag eher zu pflichtwidrigem Verhalten neigen.

In anderen Rechtsbereichen gibt es zwar auch pauschale Differenzierungen nach Altersgruppen. Im Zivilrecht wird bezüglich der Geschäftsfähigkeit eine Grenze bei Volljährigkeit gezogen. Dem Strafrecht wiederum ist es eigen, über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu entscheiden. Hier liegt die Altersgrenze grundsätzlich ebenfalls bei Volljährigkeit. In beiden Fällen wird jedoch anhand der mangelnden Reife/Einsichtsfähigkeit und damit anhand einer Eigenschaft differenziert, die eng mit dem zu regelnden Rechtsgebiet zusammenhängt. Das junge Alter führt zudem in beiden Fällen stets zu einer Besserstellung der Kinder und Jugendlichen. Die mangelnde Unrechtseinsicht von Heranwachsenden kann im Strafrecht noch bis zum 21. Lebensjahr zu einer Besserbehandlung führen, die Entscheidung darüber obliegt einem Gericht in jedem Einzelfall. Im SGB II verhält es sich andersherum: Ohne nähere Prüfung werden Betroffene aufgrund ihres Alters pauschal schlechter gestellt.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber sich bei der Leistungsgewährung des SGB II im Bereich der Leistungen zur Deckung des Existenzminimums bewegt. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 18.7.2012 zusätzliche Maßstäbe auch im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung von Personengruppen gelegt. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung zwar nicht per se unzulässig, es ist aber auch in diesem Zusammenhang entscheidend,

„dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichtet. [Hervorh. d. Verf.]

BVerfG, 1 BvL 10/10 vom 18.7.2012, Abs.-Nr. 93.

Ausdrücklich formuliert das Bundesverfassungsgericht:

„Werden hinsichtlich bestimmter Personengruppen unterschiedliche Methoden zugrunde gelegt, muss dies allerdings sachlich zu rechtfertigen sein. [...] Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann.“ [Hervorh. d. Verf.]

BVerfG, 1 BvL 10/10 vom 18.7.2012, Abs.-Nr. 97, 99.

Der Bedarf von Unter-25-Jährigen ist durch den Gesetzgeber aber gerade nicht gesondert berechnet, sondern aufgrund bloßer Mutmaßungen über den angeblich erzieherischen Effekt eingeführt worden.

Die Ungleichbehandlung soll nämlich dem Ziel dienen, bei jungen Erwerbsfähigen einer Langzeitarbeitslosigkeit von vornherein entgegenzuwirken und diesen Personenkreis besonders zu „fördern“:

vgl. Bundestags-Drucksache 15/15165, S. 61.

Doch die Regelungen sind dazu schon nicht geeignet. Es gibt nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine stärkere Disziplinierung tatsächlich zu einer besseren Integration in den Arbeitsmarkt führt. Vorliegende Studien sprechen sogar eher für eine gegenteilige Wirkung:

vgl. Berlit, Handbuch Existenzsicherungsrecht, 2013, Kapitel 23 (Sanktionen), Rn. 21 m. w. N.

Ein besonderes Förderungselement durch Sanktionierung ist ebenfalls nicht plausibel. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Unter-25-Jährige einer schärferen Sanktionierung bedürfen, weil sie sonst das gerügte Verhalten nicht änderten.

Vgl. Berlit, Das neue Sanktionensystem, ZFSH/SGB 2006, S. 16 f.

Die schärferen Sanktionen für Unter-25-Jährige sind darüber hinaus auch nicht erforderlich.

Vgl. Lauterbach, Verfassungsrechtliche Probleme der Sanktionen im Grundsicherungsrecht, ZFSH/SGB 2011, S. 587.

Für eine bessere Unterstützung der Unter-25-Jährigen wäre es stattdessen möglich und zielführender, eine bessere Betreuung und Fort- und Weiterbildung sowie Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen oder zumindest einheitliche Ausbildungsstandards zu gewährleisten.

Darüber hinaus scheitern die Regelungen an der Angemessenheit. Die Ungleichbehandlung ist nicht verhältnismäßig. Der Rechtfertigungsgrund müsste, um verhältnismäßig zu sein, in angemessenen Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung“ stehen.

BVerfGE 102, 68 (87); Jarass, Art. 3, Rn. 27.

Die Folgen für die Unter-25-Jährigen sind jedoch enorm. Diesbezüglich kann auf die bereits skizzierten Folgen von Sanktionen verwiesen werden. Diese verheerenden Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens treffen Unter-25-Jährige schneller und umfassender und noch dazu regelmäßig in der ersten Zeit eigenständiger Lebensführung. Sie stehen in keinem angemessenen Verhältnis zu dem vorgeblichen Zweck einer schnelleren Arbeitsmarkteingliederung.

An dieser Einschätzung der Verfassungswidrigkeit der härteren Sanktionen für Unter-25-Jährige besteht – im Gegensatz zur grundsätzlichen Auffassung zu Sanktionen,

zum Meinungsstand diesbezüglich s. Anhang

weitreichende Übereinstimmung in der rechtswissenschaftlichen Literatur:

vgl. Berlit, Handbuch Existenzsicherungsrecht, 2013, Kapitel 23 (Sanktionen), Rn. 83, ders., ZFSH/SGB 2008, 3 (15) und ZfSH/SGB 10/2012, S. 561 ff. (576);  Davilla, Die schärferen Sanktionen im SGB II für Hilfebedürftige unter 25 Jahren – ein Plädoyer für ihre Abschaffung, in: SGb 2010, 557, 559; Breitkreuz/Wolff-Dellen, SGb 2006, 206 (210); Lauterbach, NJ 2008, 241 (247); Lauterbach in: Spellbrink, Das SGB II in der Praxis der Sozialgerichte – Bilanz und Perspektiven, 2010, S. 11 (35 f.); Winkler in: Gagel, Stand 4/2010, § 31 SGB II, Rn. 174; Rixen in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 31 SGB II, Rn. 53; Loose, ZfSH/SGB 2010, 340 (346).

Zuletzt hat sich der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge für eine rasche Abschaffung der Ungleichbehandlung ausgesprochen:

vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 11.6.2013, DV 26/12 AF III, S. 6 ff.

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